Ein großes Forschungsbündnis für winzige Teilchen

26.05.2015

Wir können sie nicht sehen, trotzdem begleiten sie uns im Alltag auf Schritt und Tritt: Kolloide. Die winzigen Teilchen und ihre vielseitigen Eigenschaften stehen im Zentrum des EU-weiten Forschungsnetzwerks COLLDENSE, das von Sofia Kantorovich von der Universität Wien aus koordiniert wird.

"Milch, Tinte, Rauch, Medikamente, Blut oder Zahnpasta – das alles sind kolloidale Systeme, die wir aus dem täglichen Leben kennen", erklärt Sofia Kantorovich von der Forschungsgruppe Computergestützte Physik. An der Universität Wien ist die Wissenschafterin, die zuvor bereits in Russland, Deutschland und Italien gelehrt und geforscht hat, seit 1. März 2013 tätig. Von hier aus koordiniert sie seit Anfang 2015 das internationale Forschungsnetzwerk COLLDENSE, ein Kooperationsprojekt von neun Partnerinstitutionen aus dem universitären und industriellen Bereich.

Wissen bündeln

"Ziel des Forschungsverbunds ist es, Erfahrungen und Wissen zur weichen Materie – zu der auch die Kolloide gezählt werden – aus den Feldern Physik, Chemie und Biophysik zusammenführen, zu erweitern und die universitäre mit der industriellen Forschung besser zu vernetzen", so die START-Preisträgerin Kantorovich. Jedes Team forsche zu speziellen Fragen und Aspekten; im Rahmen von COLLDENSE gehe es nun darum, diese Puzzlestücke zusammenzusetzen. "Um einen besseren Einblick in das große Ganze zu erhalten und etwas Neues zu schaffen", sagt die Physikerin und schmunzelt: "Gemeinsam sind wir stark."Gleichzeitig ist COLLDENSE auch als European Training Network (ETN) konzipiert: Der Fokus liegt dabei auf der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Förderung der internationalen Mobilität der beteiligten ForscherInnen. Diese können im Rahmen ihrer Projekte mehrere Monate an Partneruniversitäten in ganz Europa forschen.

Was sind Kolloide?

Doch was sind eigentlich Kolloide und warum sollte man sie näher kennenlernen? "Kolloidale Teilchen sind mikroskopisch kleine Partikel in der Größe zwischen einem Nano- und einem Mikrometer, die sich fein verteilt in einem Trägermedium bewegen", formuliert Kantorovich die wissenschaftliche Definition. Wenn man die spezifischen Eigenschaften der winzigen Teilchen kenne und verstehe, wie diese auf verschiedene Einflüsse – etwa elektromagnetische Felder – reagieren, könne man sie gezielt für eine Vielzahl von Aufgaben und Anwendungen einsetzen.

Wie, das erklärt die Expertin am liebsten am Beispiel ihres Lieblingsnachtischs, Speiseeis: "Wenn Eis länger im Gefrierschrank liegt, bilden sich Eiskristalle und es schmeckt nicht mehr wirklich cremig. Mit den richtigen Kolloiden könnte man zum Beispiel verhindern, dass sich solche Kristalle bilden." Aber auch jede herkömmliche Zahnpasta, jedes Joghurt oder jede Schokolade sind kolloidale Systeme. "Außerdem kommt ihnen in der Medizin eine bedeutende Rolle zu. Hier lassen sich Medikamente an Kolloide binden, um von diesen in bestimmte Organe transportiert zu werden", schildert Kantorovich.

15 Forschungsprojekte

Genauso vielseitig wie die Anwendungsmöglichkeiten sind auch die Forschungsvorhaben der COLLDENSE-TeilnehmerInnen. Insgesamt 15 verschiedene Projekte werden im Rahmen des Netzwerks umgesetzt. Mit drei ProjektleiterInnen und deren Projekten und mit zahlreichen Verknüpfungen mit anderen TeilnehmerInnen spielt dabei der Knoten in Wien eine führende Rolle.

"Es ist ein spannender Mix aus Theorie und Praxis", sagt die Koordinatorin von der Fakultät für Physik. "Dabei geht es um die Kernidee, dass alle kolloidalen Systeme unabhängig von ihrer Größe bestimmte gemeinsame Eigenschaften haben. Wenn man diese kennt, kennt man auch die grundlegenden Zusammenhänge und kann Aussagen über andere Systeme treffen", betont sie.

Bewerbung noch möglich

Für NachwuchswissenschafterInnen, die Interesse haben, selbst beim COLLDENSE-Netzwerk mit zu forschen, hat Kantorovich gute Nachrichten: "Als European Training Network können wir noch einige offene Stellen für Early Stage Researcher anbieten."

Potenzielle BewerberInnen sollten allerdings Reiselust mitbringen. "Wer bei uns mitmachen will, muss mindestens drei Monate in ein anderes Land gehen. Dort hat er oder sie die einmalige Gelegenheit, andere Universitäten, Fachbereiche und Methoden kennenzulernen und wichtige Kontakte zu unseren Industriepartnern zu knüpfen. Das gibt den Studierenden völlig neue Möglichkeiten, was ihre spätere Jobperspektive betrifft", so Sofia Kantorovich abschließend. (ms)

Das Marie Skłodowska-Curie European Training Network COLLDENSE (COLLoids with DEsigned respoNSE) wird von Dr. Sofia Kantorovich von der Forschungsgruppe Computergestützte Physik an der Fakultät für Physik koordiniert und im Rahmen des EU-Forschungs-und Innovationsprogramms "Horizon 2020" gefördert und läuft von 1. Jänner 2015 bis 31. Dezember 2018. Als akademische Partnerinstitutionen fungieren die University of Cambridge (England), die University of Edinburgh (Schottland), das Jožef Stefan Institute in Ljubljana, die Universita’ di Roma "La Sapienza" (Italien), das ESPCI ParisTech (école supérieure de physique et de chimie industrielles de la ville de Paris) (Frankreich) und das Institute of Electronic Structure and Laser (Griechenland). Industrielle Kooperationspartner sind Unilever (England) und das Laboratoire du Futur (Frankreich).

Das START-Projekt "Skalenübergreifende Theorie und Modellierung dipolarer weicher Materie" unter der Leitung von Dr. Sofia Kantorovich von der Forschungsgruppe Computergestützte Physik an der Fakultät für Physik läuft von 1. März 2013 bis 29. Februar 2016.

Kolloide sind winzige Teilchen, die in vielen Nahrungsmitteln und Kosmetikprodukten wie etwa Zahnpasta gezielt eingesetzt werden. (Foto: Flickr.com/Mauren Veras)

Das COLLDENSE-Forschungsnetzwerk wird im Rahmen des "Horizon 2020"-Programms der Europäischen Union gefördert. "Ich bin sehr stolz, diese EU-Förderung bekommen zu haben. Unser Antrag hat 96 von maximal 100 Punkten erreicht, das war ein großer Erfolg", freut sich die Physikerin.

Kolloide sind auch für die Krebstherapie interessant, so die Forscherin: "Wenn man einen Tumor wegbrennen möchte, hat man das Problem, dass beim Erhitzen auch viele andere Zellen absterben. Mit speziellen magnetischen Kolloiden kann man das Erhitzen gezielt steuern und sicherstellen, dass nur die Krebszellen dran glauben müssen." (Foto: Flickr.com/Ed Uthman)